Für den Erhalt der Fachstelle Jungen und Männerarbeit und der Väterarbeit!
Sehr geehrte(r), Herr Oberbürgermeister, Stadträt*innen, Mitglieder des Dresdner Jugendhilfeausschusses, Dresdner Bürger,
wir als Männernetzwerk Dresden e.V. sprechen uns deutlich gegen die vorgeschlagenen Streichungen unserer Angebote “Fachstelle Jungen- und Männerarbeit” und “Papada – mobile Familienbildung für Väter und ihre Familien” aus.
Das Männernetzwerk Dresden e.V. ist seit vielen Jahren das bundesweit vielfältigste Jungen- und Männerprojekt in Deutschland. Hier sind in mittlerweile 10 verschiedenen Projekten Angebote für Jungen und Männer in allen Altersklassen etabliert, von Geburtsvorbereitungskursen, über Kinder- und Jugendarbeit, Väterarbeit und Gleichstellungsangebote, Kampagnen zu positiven Männlichkeiten, bis hin zur Fachstelle für die Arbeit mit männlichen Senioren. Es gibt offene Angebote für langzeitarbeitslose Männer, Täterorientierte Antigewalt-Arbeit, seit 2017 eine der ersten geförderten Männerschutzwohnungen und seit 2023 die erste Väterschutzwohnung in Deutschland. Diese vielfältige Angebotsstruktur ist bundesweit einmalig und die Projekte “Papada” und “Fachstelle Jungenarbeit” sind essenzielle Projekte in der Jungen- und Männerarbeit in Dresden. Eine Streichung der öffentlichen Förderungen für diese Projekte ist sowohl inhaltlich fragwürdig, als auch trägergefährdend.
Zum Projekt Papada – mobile Familienbildung für Väter und ihre Familien
1. Nach den Plänen der Verwaltung des Jugendamtes zur Einstellung des Projektes, hat der Jugendhilfeausschuss sich eingefordert, dass die Verwaltung ein Konzept vorlegt, wie die Väterarbeit in der Familienbildung weiterentwickelt werden soll. (Beschluss zur Entwicklung einen Konzeptes für die Väterarbeit durch die Verwaltung – siehe Punkt 7
https://ratsinfo.dresden.de/getfile.asp?id=726884&type=do)
“Dem Jugendhilfeausschuss ist über die konzeptionelle Umsetzung der Weiterentwicklung der Väterarbeit im Rahmen des Etats „Anschubfinanzierung zu Etablierung von Väterarbeit in Familienzentren sowie Umsetzung der Novellierung § 16 SGB VIII” im 2. Quartal 2024 zu berichten.”
Unserer Meinung nach ist die Verwaltung des Jugendamtes diesem Auftrag bisher nicht nachgekommen!
Im Rahmen der Anschubfinanzierung haben wir als Männernetzwerk mit drei Familienzentren im Rahmen einer Prozessbegleitung bereits zur Weiterentwicklung von Väterarbeit gearbeitet, sowie eine Weiterbildung zu “Vätern in der Familienbildung” organisiert. In der Planungskonferenz zur Familienbildung haben sich die Fachkräfte aus der Familienbildung deutlich für den Erhalt und Ausbau von Väterarbeit ausgesprochen. In den Planungsvorlagen der Verwaltung finden sich diese Aussagen nun nicht wieder. In Gesprächen mit Verwaltungsmitarbeitern wurden wir darauf hingewiesen, dass die Jugendhilfeplanung nicht an die Inhalte der Planungskonferenz gebunden sei und dem Jungendhilfeausschuss ja auch das Protokoll vorliege und dieser dann anders entscheiden könne.
Dies ist für uns eine Form von Scheinbeteiligung und wir haben derzeit nicht den Eindruck, dass Argumente aus der Fachlandschaft von der Verwaltung gehört und ernst genommen werden. Vielmehr scheint es eigene Planungsideen zu geben, die nach außen nicht transparent sind und die die Fachpositionen nicht adäquat aufgreifen. Dieses Verhalten erleben wir leider auch vermehrt in anderen Prozessen. Wir kritisieren dies nachdrücklich!
2. Uns wurde ein “blauer Brief” zugestellt, in dem das Auslaufen des Väterbildungprojekts “Papada” zum 31.12.2024 angekündigt wird. Uns verärgert dieses Vorgehen! Ohne dass der Planungsbericht durch den Jugendhilfeausschuss beschlossen wurde, sollen hier vorschnell Projekte abgewickelt und damit Tatsachen geschaffen werden.
Unsere Fragen an das Jugendamt:
- Wie ist der Stand zu dem Konzept der Verwaltung zum Thema Väterarbeit?
- Trifft es zu, dass sich aus dem Konzept der Verwaltung das Ende der Förderung von “Papada” ableitet?
- Befürwortet der Jugendhilfeausschuss das seitens der Verwaltung vorliegende Konzept und ist zufrieden, wie darüber berichtet wurde?
- In welcher Form ist in Zukunft die Qualität der Väterarbeit in der Familienbildung gesichert?
Wie kann die Verwaltung des Jugendamtes Projekte abwickeln, ohne dass ein Beschluss des Planungsberichts durch den Jugendhilfeausschuss erfolgt ist?
Das Auslaufen von “Papada” hätte gravierende Folgen für die Familienbildung in Dresden:
Papada arbeitet mit (werdenden) Vätern an Übergängen und Krisen. So würden Gruppenangebote, in denen Papas von anderen Papas lernen und sich mit ihren Themen und in Krisen gegenseitig unterstützen, zum 01.01.2025 wegfallen. Darüber hinaus fehlt Vätern, die im Männernetzwerk einen Ansprechpartner für Themen wie Vaterschaft und Mannsein sehen, eine wichtige Beratungsressource. Fragen zu Erziehung, Beziehung, Unterhalt, Umgang und Sorge finden hier bisher einen Raum. Wie lebe ich Vaterschaft? Ein Netzwerk mit Jurist*innen, Hebammen, mit Kolleg* innen aus dem Gesundheitsamt, der Arge, der Sozialen Arbeit und weiteren Partner*innen im Bezug zu Vaterschaft bräche weg.
Unsere Forderung bleibt deshalb:
Die spezifische Väterarbeit muss erhalten und ausgebaut werden und die väterspezifischen Projekte in Dresden, insbesondere unser Projekt “Papada” müssen weiterhin gefördert werden!
Zur Fachstelle Jungen- und Männerarbeit
(bisher gefördert unter dem Projektnamen “Geschlechtsdifferenzierte Arbeit mit Jungen und jungen Männern”):
Mit der Zustellung des “blauen Briefs” wurde uns im Oktober mitgeteilt, dass die Finanzierung der Fachstelle Jungenarbeit ab 01.04.2025 nicht gesichert ist. Wir kritisieren den am 07.11.2024 in den JHA eingebrachten Planungsentwurf deutlich! Die u. E. haltlose Begründung, dass es Landesstrukturen gibt, welche die Fachstellenarbeit übernehmen könnten, greift ins Leere. Zum Einen wäre dies eine deutliche Überforderung der Ressourcen der Landesfachstelle Jungenarbeit ( die ja dann entsprechend in allen Kommunen ohne Jungenfachstelle einspringen müsste) und zum Anderen hat diese ein ganz anderes Profil, nämlich Fort- und Weiterbildungsangebote für gendersensible Jungenarbeit. Die Landesfachstelle Jungenarbeit berät auch Fachkräfte im Umgang mit Jungenthemen und führt keine eigenen Angebote mit Jungen durch.
Die Fachstelle für Jungen- und Männerarbeit leistet seit 2005, als eines der ersten geförderten Projekte des Männernetzwerk Dresden e.V., geschlechterreflektierende Jungen- und Männerarbeit in der Kommune Dresden. Die vielfältige Angebotsstruktur des Männernetzwerk ist bundesweit einmalig und bietet durch den eigenen hohen Anspruch an kritisch reflektierten Männlichkeitsbildern einen perfekten Ort, um als Fachstelle für Jungen- und Männerarbeit wirksam zu werden. Die Fachstelle bildet seit 20 Jahren einen Kern der Angebote des Männernetzwerks Dresden.
Geschlechterreflektierende Jungenarbeit ist in einer patriarchalen und geschlechterstereotyp geprägten Gesellschaft ein höchst sensibles Thema. Einerseits brauchen Jungen und Männer sichere Räume zum Kennenlernen, Reflektieren und Ausprobieren ihrer verschiedenen Männlichkeitsanteile und andererseits bergen genau diese männlich-homogenen Geschlechtersettings die Gefahr, dass sie Geschlechterstereotype reproduzieren. Die kritische Betrachtung von männlich dominierten Geschlechterhierarchien und Männlichkeitsanforderungen sind deshalb ein zentraler Inhalt der geschlechterreflektierenden Jungenarbeit – dafür braucht es sensible Settings, in denen nicht die allgemeine Betrachtung von Geschlecht und Geschlechtervielfalt in den Fokus gerückt wird, sondern vielmehr die Möglichkeit der Fokussierung auf (Cis-)Männlichkeiten und heteronormative Wirkmächtigkeiten.
Für Jungen und junge Männer als Adressaten bietet die Fachstelle Jungenarbeit sichere Räume, in denen abseits von Präsentationsdruck und Wettbewerb kritisch männliche Auseinandersetzungen in einem positiven Miteinander möglich sind. Für Jungen und Männer wird Reflexionsarbeit zunächst oft als Gefahr wahrgenommen, etwas weggenommen zu bekommen. Die Einsicht, dass gesellschaftliche Männlichkeits-Privilegien oft einen sehr hohen Preis haben (z. B. durch permanenten Wettbewerb, überhöhte Risikobereitschaft, unnötige Agressionen im öffentlichen Raum, höhere Krankheits- und geringere Lebenserwartung) und speziell die Sicht auf individuelle Männlichkeitsanforderungen (die häufig nicht den normierten Männlichkeitserwartungen entsprechen) setzen Jungen und Männer unter einen hohen Druck. Sich als Jungen und Mann verletzlich und gefühlvoll zu zeigen, kann dann bedeuten, sich gleichzeitig damit abgewertet zu fühlen, bzw. im Prozess Abwertungserfahrungen zu machen.
Die Fachstelle Jungenarbeit unterstützt Jungen und junge Männer deshalb bei ihrer Identitätsfindung und persönlichen Entwicklung. Traditionelle Männlichkeitsnormen beeinflussen das individuelle Verhalten und führen oft zu emotionalen Einschränkungen. Indem die Fachstelle Jungenarbeit Räume schafft, um diese Normen zu hinterfragen und alternative, vielfältigere Männlichkeitsbilder zu normalisieren, stärkt sie das Selbstbewusstsein der Jungen und ermöglicht ihnen, ihre Gefühle ohne gesellschaftlichen Druck zu erkennen und auszudrücken.
Darüber hinaus fördert die Fachstelle die emotionale Gesundheit, indem sie Jungen durch Bildungsangebote und Reflexion zu einem gesunden Umgang mit ihren Emotionen, ihrem Körper, ihrer Sexualität und ihrer Kritikfähigkeit anleitet. Die Arbeit an Aggressionen, sowie die Begleitung bei geschlechtersensibler, nichtstereotyper Berufs- und Lebensplanung findet sich ebenfalls im Portfolio der Fachstelle Jungenarbeit. Die Arbeit erfolgt intersektional und berücksichtigt unterschiedliche Lebensrealitäten wie Herkunft, soziale Schicht und sexuelle Orientierung, um eine differenzierte Unterstützung anzubieten.
In Dresden gibt es kein anderes, vergleichbares Angebot zur geschlechterreflektierenden Jungenarbeit. Sollte diese spezifische Fachstelle wegfallen, gäbe es keine Institution mehr, die sich gezielt für Jungenperspektiven in Dresden einsetzt. Zudem gibt es auch kein jungenspezifisches Beratungsangebot in Dresden. In Einzelfällen ist die Fachstelle jetzt bereits Anlaufstelle dafür und die Nachfrage ist deutlich höher, als das Angebot, was mit dem derzeitigen Personalkontingent bedient werden kann. So ist derzeit bspw. auch die enorm wichtige Arbeit mit männlichen Geflüchteten nur ein Nebengleis, welches nicht adäquat bedient werden kann. Die Fachstelle Jungenarbeit beantragt seit Jahren eine höhere Personalausstattung, da die Bedarfslage an spezifischen Jungenangeboten deutlich höher ist! Ein Wegfall der Fachstelle würde diesem erhöhten Bedarf in keiner Weise gerecht werden.
Die Fachstelle leistet zudem wichtige Multiplikator*innenarbeit, indem sie Fachkräfte in der geschlechterreflektierenden Jungenarbeit unterstützt. Dies findet sowohl durch Bildungs- und Fortbildungsangebote, Fachveranstaltungen und Fachtagungen, (Fach-)Beratungen, sowie die gemeinsame Entwicklung und teilweise angeleitetete Durchführung von jungenspezifischen Angeboten statt. Auch diese Arbeit wird stets im Kontext gesellschaftlicher Geschlechterhierarchien reflektiert, um strukturelle Privilegien zu verdeutlichen. Regelmäßige kollegiale Fallberatungen mit einem geschlechterreflektierenden Ansatz unterstützen männliche Fachkräfte in Sozialberufen seit 20 Jahren.
Ein Wegfall der Fachstelle Jungenarbeit hieße konkret, dass ca. 25 Schulklassen im Jahr keine Angebote zur Sexuellen Bildung bzw. zur Gewaltprävention bekommen, dass es keine geschlechterreflektierende Begleitung von Freizeit- und Ferienangeboten mehr gäbe und das keine Beratungstätigkeit mit Jungen oder nahen Angehörigen mehr stattfinden könnte. Insgesamt erreichen wir im Jahr über 500 Kinder und Jugendliche direkt und durch unsere Arbeit mit über 500 Multiplikator*innen im Jahr, noch weit mehr Jungen darüber hinaus.
Die Querschnittsaufgabe “Geschlecht” wird nicht von alleine umgesetzt, wie es die Jugendhilfeplanung in ihrer Fördervorlage beschreibt. Wir sehen seit vielen Jahren die Fragen und den Unterstützungsbedarf, den sowohl Jungen als auch Fachkräfte haben. Und das sind “nur” die Fachkräfte, die das Thema bereits als wichtig erkannt haben – darüber hinaus gibt es noch viele Fachkräfte, die sich bei der Beachtung von Querschnittsaufgaben insgesamt schwer tun. Genau dafür gibt es die Fachstellen!
Wir sind ausdrücklich solidarisch mit allen Projekten in der geschlechterreflektierenden Arbeit. So gibt es auch enge Kooperationen mit den Fachstellen Mädchenarbeit und LSBTI* oder dem Projekt Maxi vom Medea e.V. Qualitative geschlechterreflektierende Arbeit ist nur dann möglich, wenn alle Geschlechtergruppen mit ihren jeweiligen Bedarfen gesehen werden.
Wir fordern Sie auf, dem Stadtrat gegenüber deutlich zu machen, dass es für die bedarfsgerechte Förderung mehr Geld und eine andere Prioritätensetzung benötigt. Wir bitten Sie, sich für den Erhalt der Geschlechterreflektierenden Arbeit in Dresden einzusetzen und die Fachstelle Jungenarbeit sowie das Projekt Papada weiterhin zu fördern.
Für Gespräche stehen Ihnen die Mitarbeiter der Projekte Papada (Tobias Bohnet) und der Fachstelle Jungenarbeit (Johannes Reuter und Patrick Ament), sowie der Projektkoordinator Torsten Weber gern zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Torsten Siegemund und Enrico Damme
(Vorstand des Männernetzwerk Dresden e.V.)